Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA stellte im Rahmen ihres Enforcementverfahrens fest, dass die Credit Suisse im Kontext der Geschäftsbeziehung mit dem Family Office Archegos schwer und systematisch gegen Finanzmarktrecht verstossen hatte. Die FINMA ordnet bei der Rechtsnachfolgerin UBS korrigierende Massnahmen an. Die FINMA hat zudem ein Enforcementverfahren gegen eine ehemalige Führungsperson der Credit Suisse eröffnet. Gleichzeitig mit der FINMA veröffentlichen auch die Behörden in den USA und im Vereinigten Königreich ihre diesbezüglichen Ergebnisse.
Im März 2021 verzeichneten mehrere Investmentbanken grosse Verluste aufgrund des Kollapses des Hedgefonds Archegos. Den deutlich grössten Verlust erlitt die Credit Suisse mit über fünf Milliarden US-Dollar. Die FINMA hat im April 2021 verschiedene risikoreduzierende Sofortmassnahmen ergriffen und ein Enforcementverfahren eröffnet (vgl. Medienmitteilung).
Risiken im Geschäft mit Hedgefonds
Das Family Office Archegos ging bei Investmentbanken wie der Credit Suisse unter anderem synthetische (d.h. ohne den entsprechenden Titel zu besitzen) Aktienpositionen ein (je nach Kurserwartung "long" oder short"). Es handelt sich um Instrumente, die die Entwicklung eines Basiswerts, beispielsweise einer Aktie replizieren (Total Return Swaps). Die Investmentbank der Credit Suisse verpflichtete sich dabei beispielsweise, Archegos den allfälligen Wertzuwachs der synthetisch gehaltenen Positionen auszuzahlen. Umgekehrt musste Archegos Verluste tragen oder Sicherheiten leisten, wenn ihre Positionen einen Wertverlust aufwiesen. Dieses Geschäft wird in dieser Art typischerweise von Hedgefonds betrieben.
Um bei solchen Geschäften selbst keine Verluste zu erleiden, sicherte sich die Credit Suisse gegen die Marktrisiken ab. Unter anderem kaufte oder verkaufte sie dafür auf den Kapitalmärkten real und auf eigenen Namen Aktientitel analog zu den von Archegos eingegangenen synthetischen Positionen. Gewinne und Verluste sollten so automatisch ausgeglichen werden. Ziel von Investmentbanken wie der Credit Suisse ist es, unabhängig vom Erfolg der Wette des Hedgefonds und der Kursentwicklung, dank der anfallenden Gebühren, in jedem Fall Erträge zu erwirtschaften.
Grosse Positionen führten bei Notverkauf zu Verlusten
Archegos baute sehr grosse Positionen in einigen wenigen Aktientiteln auf. Als der Kurs einzelner dieser Titel einbrach, verfügte Archegos nicht mehr über die erforderlichen Mittel, um diese Wertverluste auszugleichen. Die Credit Suisse ihrerseits musste in dieser Konstellation die Aktien verkaufen, die sie zur Absicherung zuvor auf eigenen Namen erworben hatte. Dabei erlitt sie wegen der mittlerweile stark gefallenen Kurse massive Verluste. Aufgrund der internen Organisation der Credit Suisse fielen diese Verluste in der Einheit in London an, obwohl sich der Sachverhalt grösstenteils in New York ereignet hatte.
Diverse organisatorische Mängel
Im Verfahren stellte die FINMA die folgenden Mängel bei der Credit Suisse fest:
- Zu grosse Position und Risiken: Die Eigenposition der Credit Suisse aufgrund der Beziehung mit Archegos war während Monaten enorm hoch. Sie wies im März 2021 einen Wert von 24 Milliarden US-Dollar auf. Dies entsprach viermal der Position des nächstgrössten Hedgefonds-Kunden und mehr als der Hälfte des Eigenkapitals der Credit Suisse Group AG. Die Bank war nicht in der Lage, die mit dieser Position im Zusammenhang stehenden Risiken angemessen zu handhaben.
- Keine Involvierung von verantwortlichen Geschäftsleitungsmitgliedern: Trotz der enormen Grösse dieser Kundenposition und der damit verbundenen Risiken waren die Geschäftsleitungsmitglieder der Bank nicht über den Sachverhalt informiert. Es gab keine Vorgabe, dass sich zuständige Geschäftsleitungsmitglieder standardmässig von sich aus mit bedeutenden und riskanten Geschäftsbeziehungen befassen müssen.
- Ungenügende Reaktion auf Limitenüberschreitungen: Die Risikoüberwachung der Credit Suisse zeigte regelmässig an, dass in der Beziehung mit Archegos geltende Limiten überschritten wurden und damit für die Bank hohe Verlustrisiken bestanden. Die verantwortlichen Mitarbeitenden verhielten sich jedoch zugunsten des Kunden. Überschreitungen wurden ungenügend beanstandet. Zum einen stellte die Bank viel zu tiefe Nachforderungen bei Archegos. Zum anderen wurden überschrittene Limiten wiederholt einfach erhöht. So reduzierten sich zwar die Überschreitungen, die eigentlichen Verlustrisiken stiegen aber an.
- Konzentrierte Risiken statt Absicherung: Archegos erwarb grosse Positionen zu nur wenigen Emittenten. Die Credit Suisse baute zur Absicherung analog Bestände an diesen Titeln auf, die teilweise zu bedeutenden Marktanteilen an diesen Titeln führten. Insgesamt entstanden für die Bank enorme und konzentrierte Verlustrisiken, die sich beim späteren Notverkauf realisierten. Die Bank berücksichtigte völlig ungenügend, dass die Sicherheiten ihren Zweck im Notfall nicht erfüllen könnten, da sie nicht diversifiziert waren.
- Auszahlung kurz vor dem Kollaps: Zwei Wochen vor dem Kollaps von Archegos wiesen deren Positionen noch einen hohen Wert auf. Archegos verlangte deshalb von der Credit Suisse die Auszahlung von 2,4 Milliarden US-Dollar. Die Bank zahlte diesen Betrag gestützt auf den Vertrag mit Archegos aus. Zwar gingen gewisse Mitarbeitende davon aus, dass die Bank vertraglich dazu verpflichtet gewesen war, diese Auszahlungen zu tätigen. Es liegen aber keine Hinweise vor, wonach die Bank intern tatsächlich geprüft hat, diese Auszahlungen nicht vornehmen zu müssen oder in Erwägung gezogen hat, diese bis zur Leistung von zusätzlichen Sicherheiten auszusetzen oder mit solchen zu verrechnen, um die eigenen Risiken zu minimieren.
Organisation und Risikomanagement ungenügend
Im Ergebnis bestanden bei der Credit Suisse im Untersuchungszeitraum gravierende Mängel hinsichtlich des Erfordernisses an eine angemessene Verwaltungsorganisation im Sinne des Bankengesetzes. Der Bank war es insbesondere nicht möglich, die mit Archegos verbundenen erheblichen Risiken angemessen zu erfassen, zu begrenzen und zu überwachen. Damit hat die Bank das bankengesetzliche Organisationserfordernis in schwerer und systematischer Weise verletzt.
Limiten für Eigenpositionen und Anpassung im Vergütungssystem
Die FINMA ordnet korrigierende Massnahmen an, die sich aufgrund des Zusammenschlusses von Credit Suisse und UBS an die weiterhin bestehende Credit Suisse AG sowie an die UBS Group AG als Rechtsnachfolgerin der Credit Suisse Group AG richten.
- Die FINMA verlangt von der UBS, dass in der gesamten Finanzgruppe ihre Beschränkungen für Eigenpositionen im Zusammenhang mit einzelnen Kunden gelten.
- Das Vergütungssystem der gesamten Finanzgruppe muss Bonuszuteilungskriterien vorsehen, die den Risikoappetit berücksichtigen. So muss für Mitarbeitende mit besonderer Risikoexposition vor der Festlegung des Bonus eine Kontrollfunktion die eingegangenen Risiken beurteilen und festhalten. Die UBS kennt bereits entsprechende Regeln, welche die FINMA nun rechtsverbindlich anordnet.
Verfahren gegen eine natürliche Person
Die FINMA hat ausserdem ein Enforcementverfahren gegen eine ehemalige Führungsperson der Credit Suisse eröffnet. Die FINMA äussert sich nicht zur Identität dieser Person oder zu Einzelheiten des Verfahrens.
Gute Koordination mit ausländischen Behörden
Die FINMA würdigt die gute Zusammenarbeit im Rahmen des Enforcementverfahrens mit der Federal Reserve Board (USA) und der Prudential Regulation Authority (UK). Die US- und UK-Behörden veröffentlichen ebenfalls ihre Ergebnisse zum Fall. Sie verhängten Bussen in der Höhe von 268,5 Millionen US-Dollar beziehungsweise 87 Millionen britischen Pfund.