Transparenz und Informationen beim Abschluss von Lebensversicherungen sind häufig ungenügend. Dies stellt die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA aufgrund ihrer Analysen im Markt fest. Der Gesetzgeber hat mit der AVO-Revision ein Zeichen für mehr Transparenz gesetzt. Die FINMA bekräftigt deshalb ihre Erwartungen an die Versicherer, den künftigen Versicherten realistischere Entscheidgrundlagen zu ermöglichen. Die FINMA wird ihre Aufsichtstätigkeit in diesem Bereich verstärken.
Die Offerten für fondsgebundene und traditionelle Lebensversicherungen enthalten, gemäss Vorgabe der FINMA, Beispielrechnungen für drei Szenarien (siehe Box unten). Diese sollen den Versicherten ermöglichen, die Risiken und möglichen künftigen Renditen der betroffenen Lebensversicherungsprodukte abschätzen zu können. Die Beispielrechnungen sind somit Schlüsselinformationen für den Kaufentscheid.
Die FINMA startete 2020 eine breit angelegte Umfrage bei den Lebensversicherern im Bereich der der Kundschaft dargelegten Informationen beim Verkauf von Lebensversicherungspolicen. Nachfolgend nahm die FINMA bei allen grösseren Anbietern Vor-Ort-Kontrollen vor. Insgesamt sah sich die FINMA die Daten von über 85'000 Abschlüssen von Lebensversicherungen im Zeitraum von Januar 2020 bis März 2021 an. Die FINMA stellte fest, dass die Transparenz beim Abschluss von Lebensversicherungen häufig ungenügend ist.
In über neunzig Prozent der Fälle zu optimistisch
So wiesen über neunzig Prozent der von der FINMA untersuchten Beispielrechnungen (teilweise weit) zu optimistische Renditeentwicklungen aus. Dies gilt insbesondere für das sogenannte ungünstige Szenario. Das ungünstige Szenario soll dem Kunden aufzeigen, was die Rendite des Lebensversicherungsproduktes bei Ablauf der Police im Falle von schlechten Anlageergebnissen sein könnte. Die Versicherer wiesen hier im Untersuchungszeitraum sogar bei der Annahme eines schlechten Verlaufs der Anlage Werte aus, die weit über der risikofreien Rendite lagen. In einigen Fällen betrugen die jährlichen Renditeannahmen für einen schlechten Verlauf 3,5 Prozent, wobei im Untersuchungszeitraum die risikofreien Renditen auch für längerfristige zehnjährige Anlagen negativ waren. Solche Beispielrechnungen können bei den Kundinnen und Kunden unrealistische Erwartungen wecken, sowohl was die Sicherheit der Anlage als auch was das Gewinnpotenzial bei Ablauf der Lebensversicherungspolice betrifft. Geschmälert werden die Renditen zudem auch von oft hohen Verwaltungs- und Abschlusskosten, die bei den Lebensversicherungsprodukten anfallen.
Beschwerden von Betroffenen
Die Untersuchung der FINMA zeigte auch, dass rund acht Prozent der Kundinnen und Kunden, die zwischen 2010 und 2011 anteilgebundene Versicherungen ohne Garantie mit einer Laufzeit von zehn bis elf Jahren abgeschlossen haben, mit ihren Sparanteilen der Prämien weniger als die risikofreie Rendite erwirtschaftet haben. Dies zeigt, dass die Versicherungsnehmenden auch bei einer positiven Entwicklung auf den Finanzmärkten mit Anlageergebnissen unter der risikofreien Rendite rechnen müssen.
Konkrete Beschwerden über Rückkaufs- und Ablaufleistungen bei anteilgebundenen Versicherungen illustrieren, dass Versicherte in der Realität mit ihren Anlagen sogar Verluste bis zu 50% der eingezahlten Beiträge erleiden können.
Lebensversicherungen sind keine Fonds
Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen einer Lebensversicherungspolice mit fondsgebundener Anlage und einer Anlage in einem Fonds ohne Lebensversicherung. Bei einer Lebensversicherung sind die Versicherten an einen fixen Ablaufzeitpunkt der Police gebunden. Die Versicherten können die Police daher nur mit zusätzlichen Kosten frühzeitig kündigen. Ein weiterer Unterschied zu Fonds besteht darin, dass bei Lebensversicherungen die Police nur mittels neuem Vertragsabschlusses verlängert werden kann. Beides ist mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist daher entscheidend, wie das Marktumfeld bei Ablauf der Lebensversicherung ist. Fällt der Ablaufzeitpunkt in eine Zeit, in der sich die Märkte negativ entwickeln, können Renditen aus guten Vorjahren zunichte gemacht werden.
Beispielrechnungen in der AVO verankert
Der Gesetzgeber will mit der Revision der Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und der Aufsichtsverordnung (AVO) den Versicherungsstandort Schweiz und insbesondere auch den Kundenschutz stärken. Die revidierten Bestimmungen werden am 1. Januar 2024 mit Übergangsfristen in Kraft treten. Sie beinhalten auch Vorgaben zu den Beispielrechnungen. So ist nun auf Verordnungsstufe explizit vorgesehen, dass beim Abschluss einer Lebensversicherung transparent und verständlich auf die Risiken und Gewinnchancen aufmerksam zu machen ist. Die FINMA hatte sich im Regulierungsprozess aufgrund ihrer Erkenntnisse in der Aufsicht für mehr Transparenz eingesetzt.
Birgit Rutishauser, Leiterin Geschäftsbereich Versicherungen der FINMA, hält fest: "Der Gesetzgeber hat mit der Revision von VAG und AVO ein klares Zeichen im Sinne eines kundenschutzbasierten Regulierungs- und Aufsichtsansatzes gesetzt. Ein Beispiel sind die Transparenz- und Informationspflichten beim Abschluss einer Lebensversicherung. Künftige Versicherte treffen hier einen weitreichenden Entscheid, der ihre Vorsorge im Alter massgebend beeinflussen kann. Daher ist es wichtig und richtig, dass sie diesen Entscheid informiert und basierend auf transparenten Grundlagen – auch über einen ungünstigen Verlauf der Anlage – treffen können. Dies gilt es für die Versicherer nun sicher zu stellen."
Erwartungen der FINMA
Die nun verabschiedete AVO-Revision bestätigt die bisherige Aufsichtspraxis der FINMA. Dies veranlasst die FINMA dazu, die Lebensversicherer erneut schriftlich zu raschen Anpassungen aufzufordern, damit Kundinnen und Kunden neue Verträge unter Einhaltung der Transparenz- und Informationspflichten abschliessen können.
Die FINMA wird im Rahmen ihrer Aufsicht den künftigen Umgang der Versicherer mit Beispielrechnungen überprüfen. Sie wird dabei insbesondere darauf achten, ob die Versicherer für ihre künftigen Kundinnen und Kunden das negative Szenario ausreichend transparent machen.
Beispielrechnungen in der Lebensversicherung |
Was sind Beispielrechnungen in der Lebensversicherung? Eine Beispielrechnung zeigt anhand einer möglichen zukünftigen Kapitalmarktentwicklung auf, welche Leistungen Versicherte erhalten könnten. Die Beispielrechnungen umfassen ein günstiges, ein mittleres und ein ungünstiges Szenario, um den Versicherten die Risiken und damit verbundenen möglichen Renditen von Lebensversicherungsprodukten aufzuzeigen. Dabei werden die individuelle Ausprägung des Vertrages und Aspekte wie Alter und Geschlecht der Versicherten berücksichtigt. Was ist ein ungünstiges Szenario? Im ungünstigen Szenario geht man von einer ungünstigen Kapitalmarktentwicklung aus. Die zugehörige Beispielrechnung soll den Versicherten einen Eindruck geben, welche Leistungen sie erwarten können, wenn es an den Kapitalmärkten nicht gut läuft. Das ungünstige Szenario ist aber nicht zu verwechseln mit dem schlechtesten möglichen Fall.
Was ist die risikofreie Rendite? Die risikofreie Rendite ist die Rendite, die eine Investorin zum Beispiel beim Kauf einer Schweizer Staatsobligation erhält. Sie wird als risikofrei betrachtet, weil praktisch als sicher gilt, dass die Eidgenossenschaft die vereinbarten Zinsen bezahlt und die Investorin am Ende, wie vereinbart, den investierten Betrag zurückerhält.
|