Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA veröffentlichte heute ihren Bericht zur Krise der Credit Suisse. Sie analysiert darin einerseits die Entwicklung der Credit Suisse ab 2008 bis 2023 bezüglich Strategie, Geschäftsverlauf, Führungsentscheide, Risikomanagement sowie der Krisenvorbereitung. Andererseits beleuchtet der Bericht die Aufsichtstätigkeit der FINMA bei der Bank. Folgendes sind die Kernaussagen:
- Die Credit Suisse hat aufgrund ungenügender Umsetzung ihrer strategischen Stossrichtungen, wiederholter Skandale und Managementfehlern das Vertrauen der Kundschaft, der Investorinnen und Investoren und der Märkte verloren. Die daraus folgenden hohen Rückzüge von Kundengeldern führten dazu, dass Mitte März 2023 die Gefahr einer unmittelbaren Zahlungsunfähigkeit bestand.
- Bund, SNB und FINMA leiteten entscheidende Massnahmen in die Wege, welche die Zahlungsfähigkeit der Credit Suisse sicherstellten und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS unterstützten. Die Behörden erreichten damit erfolgreich das Ziel, die Gläubigerinnen und Gläubiger der Bank sowie die Finanzstabilität zu schützen.
- Die FINMA ergriff im Rahmen der Aufsichtstätigkeit bereits viele Jahre vor der Krise weitgehende und eingreifende Massnahmen, um den Mängeln insbesondere in der Corporate Governance und im Risikomanagement und in der Risikokultur der Bank zu begegnen. Darüber hinaus verlangte die FINMA bereits ab dem Sommer 2022 von der Bank, sich mit verschiedenen Massnahmen für den Notfall vorzubereiten.
- Die FINMA zieht in ihrem Bericht verschiedene Lehren. So fordert sie einerseits stärkere gesetzliche Grundlagen, insbesondere für Instrumente wie das Senior Manager Regime, die Kompetenz, Bussen zu erteilen sowie strengere Regeln bei der Corporate Governance. Andererseits wird die FINMA auch punktuell ihren Aufsichtsansatz anpassen und die Umsetzbarkeit von Stabilisierungsmassnahmen verstärkt prüfen.
Das Verschwinden einer der beiden globalen Schweizer Grossbanken war ein einschneidendes Ereignis für den Schweizer Finanzplatz. Als Beitrag zur Aufarbeitung der Krise hat die FINMA die Vorgeschichte, die dazugehörenden Aufsichtstätigkeiten, den akuten Krisenverlauf sowie den daraus abgeleiteten Veränderungsbedarf umfassend analysiert und aufgearbeitet. Beleuchtet wird die Entwicklung der Aufsichtstätigkeit der Credit Suisse von 2008 bis 2023.
Nach Abschluss der Analysen veröffentlichte die FINMA heute die Erkenntnisse in einem Bericht. Sie hat diesen auch bereits der in dieser Sache tätigen Parlamentarischen Untersuchungskommission zur Verfügung gestellt.
Credit Suisse scheiterte an Mängeln bei Strategie und Management
- Die Festlegung, Umsetzung und Überwachung der Strategie fällt in den Verantwortungsbereich des Verwaltungsrats der Bank. Dieser beschloss wiederholt Strategieänderungen mit dem Ziel, die Investmentbank zu verkleinern, die Ertragsvolatilität zu senken und das Geschäftsmodell stärker auf die Vermögensverwaltung auszurichten. Diese Strategieänderungen wurden nicht konsequent umgesetzt. Die Ertragsvolatilität blieb hoch in der Investmentbank, aber auch in der Vermögensverwaltung.
- Wiederkehrende Skandale setzten dem Ruf der Bank zu, belasteten die Ergebnisse und führten zu einem Vertrauensschwund bei der Kundschaft, den Investorinnen und Investoren und im Markt.
- Die Probleme der Credit Suisse materialisierten sich in diversen Geschäftsbereichen und aufgrund verschiedener Risikotypen. Praktisch bei allen Problemen spielten gravierende Mängel im Risikomanagement eine Rolle. Die Massnahmen der FINMA zielten auf solche Mängel und stärkten die Kontrollen. Die FINMA monierte gegenüber der Bank wiederholt auch die Risikokultur und ging mit ihren Massnahmen an ihre gesetzlichen Grenzen. Trotz teilweise umfangreichen Anpassungen gelang es den Organen der Bank über die Jahre nicht, die seitens der FINMA festgestellten Missstände in der Bankorganisation gesamtheitlich und nachhaltig zu beheben.
- Auch in Jahren mit grossen Verlusten blieben die variablen Vergütungen hoch. Die gewichtigen Aktionärinnen und Aktionäre der Credit Suisse nahmen ihre Einflussmöglichkeiten bei Vergütungen kaum wahr.
- Reorganisationen sowie hohe Kosten, Bussen und Verluste schwächten zudem die Kapitalbasis. Die Credit Suisse war in der Folge immer wieder gezwungen, am Markt Kapital aufzunehmen.
- Die Credit Suisse erfüllte die regulatorischen Kapitalanforderungen. Diese Kapitalunterlegungen vermochten die massive Vertrauenskrise jedoch nicht zu verhindern. Das Stammhaus, die CS AG, wies innerhalb der Gruppe die schwächste Kapitalunterlegung auf und stellte dadurch das schwächste Glied in der Kette dar.
- Die Credit Suisse erfüllte auch die regulatorischen Anforderungen an Liquidität und hielt im Sommer 2022 komfortable Liquiditätspuffer. Der Vertrauensverlust der Bank führte jedoch zu sehr schnellen und weitreichenden Liquiditätsabflüssen, die durch die digitalen Kommunikationsmittel (digitaler Bank Run) noch verschärft wurden und die Bank letztlich an den Rand der Zahlungsunfähigkeit brachten.
Intensive Aufsichtstätigkeit und Krisenvorbereitung bei der Credit Suisse
Die FINMA hat ihre Aufsicht im Rahmen der geltenden gesetzlichen Vorgaben gegenüber der Credit Suisse sehr weitreichend wahrgenommen. Seit 2012 hat sie gegen die Credit Suisse 43 Vorabklärungen für mögliche Enforcementverfahren durchgeführt, neun Rügen ausgesprochen, sechzehn Strafanzeigen erstattet sowie elf Enforcementverfahren gegen das Institut und drei Verfahren gegen natürliche Personen abgeschlossen. Elf dieser vierzehn Verfahren fielen in den Zeitraum ab 2018. Dabei hat die FINMA die Credit Suisse im Rahmen ihrer Kompetenzen konsequent auf Risiken aufmerksam gemacht,Verbesserungen gefordert und einschneidende Massnahmen auferlegt. Diese umfassten umfangreiche Kapital- und Liquiditätsmassnahmen, Eingriffe in die Governance und in die Vergütung sowie Geschäftsrestriktionen. In der Periode von 2018 bis 2022 hat sie zudem 108 Vor-Ort-Kontrollen bei der Credit Suisse durchgeführt und dabei 382 Punkte festgestellt, die Massnahmen erforderten. Bei 113 dieser Punkte wurde das Risiko als hoch oder kritisch eingestuft. Diese Zahlen und Massnahmen illustrieren, dass die FINMA ihre Möglichkeiten und gesetzlichen Kompetenzen ausgeschöpft hat.
Darüber hinaus erkannte die FINMA bereits früh das mögliche Risiko einer Destabilisierung der Bank und intensivierte ihre Aufsichtstätigkeit entsprechend. So verlangte sie von der Bank bereits im Sommer 2022 konkrete Massnahmen zur Vorbereitung auf eine Krise wie beispielsweise Verkäufe von Geschäftsteilen sowie später auch der Verkauf der ganzen Bank. Die FINMA ihrerseits bereitete gleichzeitig eine mögliche Sanierung der Bank vor. Im März 2023 war die Sanierung seitens FINMA vorbereitet, so dass sie als alternatives Szenario vorlag. Die Behörden kamen jedoch zum Schluss, dass mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS eine möglichst rasche Stabilisierung der Situation mit einem geringeren Risiko erreicht werden konnte.
Die FINMA zieht Lehren aus dem Fall Credit Suisse
- Behördliche Krisen-Massnahmen haben Ziel erreicht: Die im März 2023 von den Behörden ergriffenen Massnahmen waren effektiv und erfüllten den gesetzlichen Auftrag. Sie gewährten den Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger sowie die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte.
- Die gesetzliche Grundlage für die Aufsicht stiess an Grenzen: Die FINMA hat ihre Aufsichts- und Enforcementaktivitäten bei der Credit Suisse über die letzten Jahre aufgrund der Häufung von Problemen und Mängeln zunehmend intensiviert und immer einschneidendere Massnahmen verfügt. Sie ging damit bis an die Grenzen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten.
- Mehr Pflicht zur Verantwortung im Bereich Governance: Die FINMA befürwortet erweiterte Möglichkeiten, um auf die Governance der Beaufsichtigten stärker Einfluss zu nehmen. Der FINMA scheint hierbei insbesondere ein Senior Manager Regime, eine Bussenkompetenz und die Möglichkeit, regelmässig Enforcementverfahren zu veröffentlichen zweckmässig. Für effektive Eingriffe in Vergütungssysteme ist ein solideres gesetzliches Mandat an die FINMA erforderlich.
- Kapitalregulierung nachbessern: Im Bereich der Eigenmittelanforderungen führte die gesetzliche Pflicht zur Gewährung von Erleichterungen auf Stufe Einzelinstitut zu einer Schwächung des Stammhauses. Zudem wirkte die regulatorische Behandlung von Beteiligungen in der Krise prozyklisch. Die FINMA fordert deshalb im Rahmen der Überprüfung der Too-big-to-fail-Vorgaben strengere Standards in der Regulierung auf der Stufe des Einzelinstituts.
- Fokus auf Eigenmittelzuschläge: Die FINMA ordnete weitreichende Eigenmittelzuschläge an, um erhöhten Risiken aus den Geschäftsaktivitäten der Credit Suisse zu begegnen. Die FINMA wird künftig die mit der Strategieumsetzung oder einer unzureichenden Kontrollumgebung verbundenen Risiken und das sich daraus ergebende Verlustpotenzial von Finanzinstituten noch systematischer analysieren und bei Bedarf Eigenmittelzuschläge verhängen und diese offenlegen. Es ist zu prüfen, ob es dazu auch eine Anpassung der regulatorischen Grundlagen braucht.
- Fokus auf Umsetzbarkeit der Recovery- und Resolution-Massnahmen: Einige Massnahmen der von der FINMA geprüften und bewilligten Stabilisierungspläne (Recovery-Plan) waren in der vorliegenden Krise nicht in der geplanten Form umsetzbar. Daher wird die FINMA in Zukunft einen stärkeren Fokus auf die effektive Umsetzbarkeit der Massnahmen legen und eine Verschärfung der Bewilligungspraxis prüfen. Sie wird auch die Abwicklungsplanung (Resolution-Plan) auf schnellere Bank Runs und auf mehr Krisenszenarien auslegen.
Thomas Hirschi, Leiter des Krisenstabs und des Geschäftsbereichs Banken der FINMA, äusserte sich anlässlich der Präsentation des Berichts: "Die FINMA hat die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente auf der ganzen Skala eingesetzt und das Risiko einer möglichen Destabilisierung der Credit Suisse früh erkannt. Ihr Handeln hat Wirkung erzielt, vermochte aber die Ursachen des Vertrauensverlusts wie die Mängel bei der Strategieumsetzung und im Risikomanagement nicht wettzumachen. Die Behörden sorgten entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag aber dafür, dass die Gläubigerinnen und Gläubiger und die Finanzstabilität beim Marktaustritt der Bank geschützt waren."
Birgit Rutishauser, Direktorin a.i., hielt fest: "Wir wollen aktiv zur Aufarbeitung der CS-Krise beitragen. Daher haben wir mit einem ausführlichen Bericht zu den Vorkommnissen und Lehren weitere Transparenz geschaffen. Diese Grundlage ermöglicht es uns nun, den Blick nach vorne zu richten. Wir werden die Lehren aus dieser Krise in unsere Aufsichtsarbeit integrieren und in die Regulierungsgremien einbringen."
Marlene Amstad, Verwaltungsratspräsidentin der FINMA, unterstrich: "Wir setzen uns dafür ein, dass die Aufsicht noch bessere Karten in den Händen hält. Der spezifische Fall Credit Suisse illustriert sowohl die Möglichkeiten wie auch die Grenzen der Aufsicht. Beides ist vom gesetzlichen Rahmen vorgegeben. Daher ist klar: Wie der Schweizer Finanzplatz in fünf oder zehn Jahren aussieht, wird wesentlich dadurch bestimmt, ob die gesetzliche Grundlage der Aufsicht heute gestärkt wird."
Zur Aufsichtsaktivität der FINMA
Die FINMA hat als unabhängige Aufsichtsbehörde über den schweizerischen Finanzmarkt den gesetzlichen Auftrag, Finanzmarktkunden – namentlich Gläubigerinnen und Gläubiger, Anlegerinnen und Anleger und Versicherte – sowie die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu schützen. Davon abgeleitet sind die Aufsichtsaufgaben der FINMA: die Bewilligung, die Überwachung und – wo notwendig – die Durchsetzung des Aufsichtsrechts. Die FINMA verfolgt mit ihren Bewilligungsentscheiden, ihrer Aufsichtstätigkeit und Enforcement-Aktivitäten immer einen klaren Zweck: Einlagen sollen geschützt, Verträge und Marktverhalten transparent und nicht missbräuchlich sein. In ihrer Aufsichtstätigkeit verfolgt die FINMA einen konsequent risikoorientierten Ansatz und achtet auf Kontinuität und Berechenbarkeit. Diesen Auftrag erfüllen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FINMA mit grosser Expertise auf der rechtlichen Grundlage von acht verschiedenen Finanzmarktgesetzen, die aufgrund der dynamischen und innovativen Finanzbranche im stetigen Wandel sind.
Die FINMA kontrolliert den bedeutenden Schweizer Finanzmarkt bestehend aus über 500 Banken, 180 Versicherungen, 400 Asset Managern und 150 Finanzmarktinfrastrukturen mit einer kleinen, effizienten Behörde. Ihre 600 Mitarbeitenden fokussieren bei ihrer Arbeit bewusst auf relevante Risiken. Die FINMA nimmt ihren Ermessensspielraum wahr und wird proportional zur Risikobewertung aktiv.
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Zur Grossbankenaufsicht durch die FINMA
Die direkte Grossbankenaufsicht wurde bis im Sommer 2023 in erster Linie von zwei dedizierten Aufsichtsteams wahrgenommen. Diese beiden Teams wurden von weiteren Spezialistinnen und Spezialisten in den Bereichen Vor-Ort-Kontrollen, Benchmarkanalysen, Bewilligungen, Risikomanagement, Kapitaladäquanz und -planung, Liquidität, IT- und Cyberrisiken sowie Governance unterstützt. Insgesamt wurden in den Jahren 2020 bis 2022 durchschnittlich rund vierzig der 112,5 Vollzeitstellen im Geschäftsbereich Banken für die Aufsicht über die UBS und die Credit Suisse eingesetzt. Im Rahmen der Aufsicht über die Banken erhebt die FINMA regelmässig Daten und fordert Unterlagen der Banken ein. Die Daten werden teils zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank erhoben, teils durch die FINMA auch direkt. Es handelt sich um umfangreiche Datensätze zu den prudenziellen Kennzahlen (Liquidität, Kapital) sowie um Ad-hoc-Umfragen zu bestimmten Risiken. Eingefordert werden interne Berichte der Banken, z.B. die Risiko- und Compliance-Berichte oder die Berichte der internen Revision, und auch einzelne Unterlagen aus den Geschäftsleitungs- bzw. Verwaltungsratssitzungen. Ausserdem berücksichtigt die FINMA Marktdaten (z.B. Kredit-Ratings sowie Kurse von Aktien, Anleihen oder Credit Default Swaps), Berichte von Aktien- und Anleihenanalysten oder weitere externe Quellen wie Medienberichte (inklusive sozialer Medien). Die FINMA führt regelmässige Gespräche mit dem Verwaltungsrat, der Geschäftsleitung und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Divisionen, der Kontrollfunktionen und der internen Revision. Sie teilt der Bank ihre Feststellungen und Erwartungen jeweils schriftlich mit. Zudem führte sie pro Jahr und Grossbank rund 20 umfangreiche eigene Vor-Ort-Kontrollen durch.
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