Innovation blieb auch im Jahr 2020 ein zentrales Thema im Finanzmarkt. Die durch die Pandemie ausgelösten Einschränkungen zeigten die Möglichkeiten und den Bedarf an technischer Innovation auf, etwa im Zahlungsverkehr. Die FINMA beschäftigte sich zudem mit weiteren Anwendungen der Blockchain-Technologie im Finanzmarkt, mit Innovationen beim Handel mit Finanzprodukten sowie mit der Bewilligung solcher Projekte.
Die Fintech-Bewilligung ermöglicht Finanzdienstleistungsanbietern die Entgegennahme von Publikumseinlagen bis zu 100 Millionen Franken, wobei die Einlagen weder angelegt noch verzinst werden dürfen. Die Bewilligung steht für sämtliche Geschäftsmodelle offen, die mit der Entgegennahme von Publikumseinlagen verbunden sind. Die 2020 bei der FINMA eingegangenen Anfragen zeigten indessen, dass die neue Bewilligungskategorie in erster Linie für Geschäftsmodelle des Zahlungsverkehrs von Interesse war. Institute mit Fintech-Bewilligung, die ein für den Zahlungsverkehr in Franken massgebliches Geschäftsmodell betreiben, haben zudem die Möglichkeit, bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ein Gesuch um Zugang zum Swiss-Interbank-Clearing-System (SIC-System) zu stellen. Im ersten Quartal konnte die FINMA die erste Fintech-Bewilligung erteilen. Das betreffende Start-up-Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, seinen Kunden gestützt auf innovativer technischer Basis umfassende Zahlungsdienstleistungen anzubieten. Im Berichtsjahr gingen bei der FINMA weitere Bewilligungsgesuche ein, über die die FINMA 2021 befinden wird.
Mit ihrer Medienmitteilung vom 16. April 2020 machte die FINMA den Eingang des Bewilligungsgesuchs der Libra Association mit Sitz in Genf öffentlich, die seit Dezember als Diem Association firmiert. Angestrebt wird eine Bewilligung als Zahlungssystem gemäss Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG). Das Gesuch stützt sich auf die im April 2020 veröffentlichten Informationen zum überarbeiteten White-Paper, das sich grundlegend vom ursprünglich vorgesehenen Projekt unterscheidet. Neu ist insbesondere vorgesehen, dass das Diem-Zahlungssystem auch Stable Coins umfassen soll, die ausschliesslich mit einer einzelnen Währung unterlegt sind.
Mit der Einreichung des erneut überarbeiteten Gesuchs konnte der formelle Bewilligungsprozess nach Schweizer Aufsichtsrecht beginnen. Ausgang und Dauer des Verfahrens sind offen. Die FINMA wird das Gesuch eingehend analysieren und in allfälligen offenen Punkten Ergänzungen verlangen. Dabei wird sie, wie im FinfraG vorgesehen, für risikoerhöhende Aspekte – etwa bankähnliche Dienstleistungen – zusätzliche Anforderungen stellen. Des Weiteren wird die FINMA auch prüfen, ob nationale und internationale Standards für Zahlungssysteme sowie betreffend Geldwäschereibekämpfung eingehalten werden.
Die geplante Reichweite des Projektes macht ein international koordiniertes Vorgehen unverzichtbar. Neben der SNB steht die FINMA mit mehr als 30 Aufsichtsbehörden und Zentralbanken regelmässig in Kontakt. Zudem bringt sie sich aktiv in verschiedenen internationalen Arbeitsgruppen ein und arbeitet an der Entwicklung von internationalen Standards zu Stable Coins mit.
Im Laufe des Jahres 2020 wurde der Gesetzesentwurf für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Blockchain und die Distributed Ledger Technology (DLT) im Parlament behandelt. Parallel dazu begannen bereits die Arbeiten zu den erforderlichen Verordnungsanpassungen. Die FINMA brachte sich diesbezüglich aktiv in die Arbeiten der zuständigen Bundesstellen ein und stellte dabei die Rechtssicherheit und die Technologieneutralität in den Mittelpunkt. Ebenfalls Ziel der Arbeiten war die Verständlichkeit der sehr technischen Bestimmungen. Zudem stellten sich in Zusammenhang mit dem Konkursrecht wichtige und komplexe Fragen.
Im Mittelpunkt standen auch die Anforderungen an die neuen Handelssysteme für DLT-Effekten. Dabei ist es der FINMA ein Anliegen, die richtige Balance zwischen der Ermöglichung von technischen Innovationen und der stringenten Aufsicht zur Sicherstellung der Glaubwürdigkeit des schweizerischen Finanzplatzes zu finden. Dementsprechend befasste sich die FINMA ausführlich mit der Öffnung des Zugangs für Endkunden zu DLT-basierten Handelssystemen sowie mit den damit eng verbundenen Themen der Geldwäschereibekämpfung, des Anlegerschutzes und des Marktverhaltens.
Im Jahr 2020 wandten sich erneut zahlreiche Interessenten mit Fragen zur Unterstellungspflicht von Blockchain-basierten Geschäftsmodellen an die FINMA. Diese betrafen Initial Coin Offerings (ICO), Stable Coins wie auch die Betriebsphase von teilweise komplexen Geschäftsmodellen. Nach der Veröffentlichung einer Wegleitung zu Stable Coins im Jahr 2019 beschäftigte sich die FINMA auch im Berichtsjahr laufend mit der Weiterentwicklung der eigenen Praxis zu Unterstellungsthemen.
Ein gewichtiges Thema bei den Unterstellungsanfragen waren 2020 dezentralisierte Geschäftsmodelle. Dabei handelt es sich um Geschäftsmodelle, bei denen Endkunden direkt miteinander in Kontakt treten und dabei allenfalls finanzmarktrechtlich relevante Aktivitäten entfalten. Die Herausforderung liegt dabei besonders darin, dass die technologische Entwicklung zunehmend Betriebsmodelle ermöglicht, bei denen die Tätigkeit in zahlreiche Bestandteile aufgeteilt ist, was die Zuordnung der gesamthaft betrachteten bewilligungspflichtigen Dienstleistungen erschwert. Statt einer Finanzdienstleistung «aus einer Hand» werden dabei mittels zugangsoffenen DLT-Systemen und Softwareapplikationen grundsätzlich bekannte, traditionelle Dienstleistungen des Finanzmarkts dezentral und verteilt nachgebildet. Beispiele sind die Verwahrung, der Wechsel und der Handel von digitalen Vermögenswerten in Form von Token. Die FINMA richtet auch bei diesen neuartigen Anwendungen den Fokus auf die wirtschaftlichen Funktionen von Projekten (substance over form) und berücksichtigt die bewährten und vom Gesetzgeber vorgegebenen Wertungsentscheidungen (same business, same risks, same rules).
(Aus dem Jahresbericht 2020)